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Zwischen Drachen
und Daten

Wie China Design neu definiert

Fabian Furrer, Präsident der Dongdao Creative Branding Group Inter­national, hat die Ent­wick­lung des Designs und Branding in China über 20 Jahre be­gleitet und mit­gestaltet. Als Juror von Design­wett­bewerben wie IF Design Award und dem Good Design Australia Award pendelt er oft zwischen den Konti­nen­ten und ist unser Partner, wenn es um Design in China geht.

Mit Fabian und dem Gründer von Dongdao, Jianjun Xie, stehen wir seit Jahren im engen Aus­tausch. Folgen­de Fragen hat Fabian uns nach einem Besuch bei uns in München be­antwortet.

Ost und West: »Die Welt durch unter­schied­liche Brillen sehen«

Etwas, worüber ich oft nach­denke, während ich als West-Euro­päer in China lebe: Sehen Men­schen aus dem Osten und Westen die Welt wirk­lich unter­schied­lich, oder geht es eher darum, wie wir das Ge­sehene inter­pretieren? Wissen­schaft­ler sagen, dass unsere Augen die­selbe Reali­tät er­fassen – aber unser Ver­stand? Da wird es spannend. Die Art und Weise, wie wir Infor­ma­tionen filtern und ihnen Be­deu­tung verleihen, wird durch unsere Kultur geprägt – und das zeigt sich überall, ins­be­son­dere im Design.

Nehmen wir deutsches Design: klar, logisch und funk­tional. Es dreht sich alles um Präzision und Ordnung. Chinesi­sches Design hin­gegen balanciert oft Symbolik, Tradition und An­passungs­fähig­keit. Es ist fließend, viel­schichtig und tief in der Ge­schichte ver­wurzelt. Das sind nicht nur ästhe­tische Ent­schei­dungen – sie spiegeln völlig unter­schied­liche Denk­weisen und Welt­anschauungen wider.

Da unsere Welt immer ver­netzter wird, ist es nicht nur faszi­nierend, sondern auch un­er­läss­lich, diese unter­schied­lichen Perspek­tiven zu ver­stehen. Denn wenn Ost und West in Design und Branding auf­einander­treffen, kann etwas Er­staun­liches ent­stehen. Die Frage ist: Wie kombi­nieren wir das Beste aus beiden Welten, ohne ihre jeweilige Einzig­artig­keit zu verlieren?

Während früher west­liche Strategien adap­tiert wurden, hat China in­zwischen eine ganz eigene, un­ver­wechsel­bare Stimme ent­wickelt.

Fabian Furrer

Wie hat sich Chinas Design- und Branding-Markt ver­ändert – und was hat dich am meisten über­rascht?

Der chinesi­sche Branding- und Design­markt hat sich in den letzten Jahren sehr dyna­misch ent­wickelt. Während früher west­liche Strate­gien adap­tiert wurden, hat China in­zwischen eine ganz eigene, un­ver­wechsel­bare Stimme ent­wickelt. Chinesi­sche Agenturen be­herr­schen es heute meister­haft, globale Techniken mit lokaler Kultur zu ver­schmelzen und dadurch frische, inno­vative und hoch­gradig an­passungs­fähige Marken­strategien und Design­lösungen zu schaffen.

Auch der Fokus hat sich stark in Richtung Story­telling und Nutzer­erfahrung ver­schoben. Es geht nicht mehr nur um visu­elle Identi­tät, sondern darum, eine kom­plette Marken­welt zu ge­stalten, die das Publi­kum emo­tional und kultu­rell anspricht.

Ein Bei­spiel ist unser »CGTN Art Promotion Plan« (Dongdao), der das chinesi­sche Zeichen für »Kunst« mit dem engli­schen Wort »Arts« kombi­niert. Menschen mit unter­schied­lichen kultu­rellen Hinter­gründen können das selbe »Art«-Zeichen sehen – ein Symbol für den Aus­tausch und die Zu­sammen­arbeit zwischen Ost und West.

Wer dominiert Chinas Design­markt – lokale oder globale Agenturen?

Chinas Design- und Branding-Szene ent­wickelt sich rasant weiter, und sowohl lokale als auch inter­natio­nale Akteure bringen ihre eigenen Stärken ein. Lokale Agen­turen haben den Vorteil eines tiefen kultu­rellen Ver­ständ­nisses und einer hohen An­passungs­fähig­keit, während internationale Unternehmen mit globaler Er­fahrung und aus­ge­reifter Kreativi­tät punkten.

Sind chinesische Agenturen bereit für den Weltmarkt?

Der inter­nationale Markt­eintritt ist eine große Heraus­forderung – be­sonders für chine­sische Branding-Agen­turen. Es geht nicht nur darum, Englisch zu sprechen, sondern auch darum, kulturelle Fein­heiten zu ver­stehen und Bot­schaften zu ent­wickeln, die welt­weit Anklang finden. Die Zusammen­arbeit mit Teams in ver­schiedenen Ländern er­fordert zudem ein Fein­gefühl für unter­schied­liche Arbeits­stile und kreative Prozesse.

Dennoch gibt es bereits chinesi­sche Agen­turen, die global Ein­druck hinter­lassen. MAD Architects, mit Büros in Peking, L.A. und Rom, oder die BlueFocus Communi­cation Group, die durch gezielte Über­nahmen expan­dierte, sind starke Beispiele. Aber wenn es um reine Branding- und Design­agenturen geht, die erfolg­reich in west­lichen Märkten kon­kur­rieren, muss man das erst noch sehen.

Wodurch unter­schei­det sich chine­sisches Branding von west­lichem (z.B. deutschem) Branding?

Chinesisches und westliches Branding – ins­be­sondere der deutsche Ansatz – könnten kaum unter­schied­licher sein. Es geht dabei nicht nur um Stil­fragen, sondern um grund­legend ver­schiedene Philo­sophien.

Westliches Branding basiert auf Strate­gie und Struktur: akribisch, daten­getrieben und auf lang­fristige Konsis­tenz aus­gelegt. Jeder Schritt folgt einem präzisen Plan – es ist, als würde man eine Kathe­drale Stein für Stein errichten.

Chinesisches Branding hin­gegen ist schnell, mutig und lebt von Ver­änderung. Trends wechseln über Nacht, wes­halb Marken An­passungs­fähig­keit und Kreativi­tät in den Vorder­grund stellen. Es ist weniger eine Kathe­drale und mehr ein Feuer­werk – brillant, explosiv und un­übersehbar.

Kein Ansatz ist besser oder schlechter – aber der Kontrast ist elek­trisierend.

Wie wichtig ist Inter­natio­nalität versus Lokalität im chinesischen Branding?

Chinesische Marken müssen ständig die Balance halten: Sie wollen ihre lokalen Wurzeln be­wahren und gleich­zeitig inter­national attraktiv sein. In letzter Zeit setzen viele Marken ver­stärkt auf tradi­tionelle chine­sische Kultur – jedoch mit einem modernen Twist.

Doch sobald sie global expan­dieren, ver­schiebt sich der Fokus. Statt kultureller Symbolik steht dann die Ver­bindung mit inter­natio­nalen Konsu­menten und die An­passung an ver­schiedene Märkte im Vordergrund.

Mein Designer-Kollege Rainmo brachte ein passendes Beispiel: Hong Xing Qian Jin (红星前进) – eine retro-inspirierte Brot- und Milch­marke mit spiele­rischem, nutzer­freund­lichem Design. Ihre Verpackung hat mich überrascht: traditio­nelle chinesische Farben, Motive und Kalli­grafie, aber in einer modernen Inter­pretation.

In China wird Tradition nicht einfach zurück­gelassen – sie wird neu inter­pretiert.

Fabian Furrer

Sind traditio­nelle Design­elemente noch relevant oder geht es nur noch um Modernität?

In China wird Tradition nicht einfach zurückgelassen – sie wird neu inter­pretiert. Marken müssen sich nicht zwischen Ver­gangen­heit und Zukunft ent­scheiden, sondern kombi­nieren beides zu einem Design, das tief ver­wurzelt und gleich­zeitig er­frischend modern ist.

Dieses Zusammen­spiel von Alt und Neu ist ein echtes Phäno­men. Marken setzen verstärkt auf kulturelle Authen­tizität, um Loya­lität zu schaffen, während sie gleich­zeitig schlichte, moderne Designs ver­wenden, die welt­weit Anklang finden. Genau diese Spannung – und Harmonie – macht chinesi­sches Branding derzeit so spannend.

Welche Farben, Schriften und Symbole sind derzeit in China angesagt?

Rot dominiert nach wie vor chinesisches Branding – es steht für Glück, Festlich­keit und Wohl­stand – während Gold für Luxus und Prestige sorgt. In jüngster Zeit gewinnt Grün an Be­deutung, da Nach­haltig­keit eine größere Rolle spielt.

Bei Schriften sind moderne, schlichte Typo­grafien weit verbreitet, ins­besondere bei Techno­logie- und Mode­marken. Gleich­zeitig erleben kalligrafie-inspirierte Schriften ein Revival, da sie Tradition und Authenti­zität vermitteln – ein faszi­nierender Kontrast.

Bei Symbolen sind Drachen weiter­hin stark vertreten – sie stehen für Macht und Glück. Aber auch Lotus­blumen und Bambus, Symbole für Schön­heit und Wider­stands­fähig­keit, finden zu­nehmend Anklang. Zudem nimmt der Trend zu minima­listischen, modernen Formen zu.

Ein Beispiel ist unser Projekt »C-LOONG« (Dongdao), das eine traditio­nelle Drachen­figur mit modernen Design­elementen kombiniert.

50 kms team project interview Dongdao 16 9

Welche Design­trends sind aktuell in China angesagt?

Momentan dreht sich in China alles um die Ver­bindung von Alt und Neu. Diese Fusion spricht direkt Ver­braucher an, die einer­seits mit ihren Wurzeln ver­bunden bleiben möchten, anderer­seits aber auch moderne, globale Trends schätzen.

Marken wie Li-Ning und Hong Xing Qian Jin beherr­schen diese Ver­schmel­zung perfekt, indem sie vertraute Symbole auf neue Weise inter­pretieren. Li-Nings „中国李宁“-Logo zollt der Tradition Tribut, bleibt dabei aber urban und modern. Retro-Sport­bekleidung wird mit High-Tech-Materialien, kräftigen Rot-Gold-Farb­schemata und scharfen, zeit­gemäßen Schnitten neu erfunden. Nostalgie trifft Inno­vation – perfekt für eine Generation, die sowohl ihr kulturelles Erbe als auch globale Trends umarmt.

Um in Chinas Design­branche zu be­stehen, muss man schnell, kulturell ver­siert und an­passungs­fähig sein.

Fabian Furrer

Wie beeinflussen KI und Big Data das Branding in China?

Künstliche Intelligenz und Big Data revolu­tio­nieren das Branding in China und er­möglichen es Unter­nehmen, Ver­braucher­wünsche präzise vorher­zusagen. KI versteht mittler­weile das Konsum­verhalten so gut, dass es fast schon un­heim­lich ist. Startups wie DeepSeek führen diese Ent­wicklung an, indem sie KI mit Design ver­binden, um kulturell relevante Inhalte für chinesi­sche Ziel­gruppen zu schaffen.

Doch eine zentrale Frage bleibt: Was passiert, wenn KI uns besser kennt als wir uns selbst? Während wir uns auf diese KI-gesteuerte Zukunft zu­bewegen, sollten wir uns fragen – ver­bessern wir damit wirklich das Kon­sumenten­erlebnis oder werden wir einfach nur zu Spiel­figuren in einem digitalen Schach­spiel? Es ist eine Revolu­tion – aber zu welchem Preis?

Wie verändern Platt­formen wie WeChat (Weixin), TikTok (Douyin) und Xiaohongshu (Little Red Book) die Marken­kommunikation?

Plattformen wie WeChat, Douyin und Weibo sind weit mehr als bloße Kommu­nikations­kanäle – sie definieren völlig neu, wie Marken mit Menschen inter­agieren. Durch die Kom­bination aus sozialem Netz­werk, E-Commerce und Echtzeit-Inter­aktion zwingen sie Unter­nehmen dazu, ihre Strategie grund­legend zu überdenken.

Doch eine Frage bleibt: Während diese Platt­formen das Branding neu erfinden – stellen wir wirklich tiefere Ver­bindungen zu unserem Publikum her oder er­zeugen wir nur noch mehr Lärm in einer ohne­hin über­füllten digitalen Welt?

Was braucht man, um in Chinas Design­welt erfolg­reich zu sein?

Um in Chinas Design­branche zu be­stehen, muss man schnell, kulturell versiert und an­passungs­fähig sein. Ideen müssen frisch, mutig und um­setzbar sein. Doch hier liegt die Heraus­forderung: Während Kreativi­tät in Licht­geschwindig­keit erwartet wird, können Ent­scheidungen sich ziehen. Kunden sind nicht mehr beein­druckt von großen Worten oder abstrakten Konzepten – sie wollen konkrete, greif­bare Beispiele dafür sehen, wie Ideen tat­sächlich aussehen und funk­tionieren.

Wie wird sich (chinesisches) Design in den nächsten Jahren entwickeln?

In letzter Zeit denke ich viel über die Zukunft des Designs nach. Auf der einen Seite ver­spricht die KI-gesteuerte Welt Ge­schwindig­keit, Effizienz und Massen­produk­tion. Der Markt, in dem viele mittel­große Agenturen bisher erfolg­reich waren, könnte unter dem un­auf­halt­samen Fort­schritt von KI ver­schwinden. Auf der anderen Seite steht eine Welt, die frei von KI ist – ein Raum, in dem echtes Hand­werk und mensch­liche Kreativität im Mittel­punkt stehen.

Was mich be­geistert, ist die Vor­stellung, dass während viele in Richtung KI drängen, es weiter­hin einen essen­ziellen Platz für die­jenigen gibt, die ihrem Hand­werk treu bleiben. Diese Designer werden nicht nur kreieren – sie werden die Kunst des Designs auf ein neues Niveau heben. Die Zukunft des Designs scheint durch diesen Konflikt de­finiert zu werden: »Mensch gegen Maschine.«

Können euro­päische und chinesi­sche Agenturen zusammen­arbeiten oder sind die Unter­schiede zu groß?

Diese Frage be­schäftigte mich besonders, als ich Anfang des Jahres den MINISO-Flagshipstore auf den Champs-Élysées in Paris be­suchte. Es war ein perfektes Beispiel dafür, wie eine chinesi­sche Marke – durch kluge Zusammen­arbeit mit lokalen Teams – erfolg­reich in globalen Märkten Fuß gefasst hat.

Wenn MINISO es schafft, mit einer Mischung aus heimi­scher Kreativität und lokalen Partner­schaften erfolg­reich zu sein, dann bleibt die große Frage: Können euro­päische und chinesi­sche Agenturen ihre kultu­rellen und strate­gischen Unter­schiede über­winden, um gemein­sam etwas wirklich Bedeuten­des zu schaffen?

Wir danken Fabian ganz herzlich für das Interview.

Über Dongdao

Dongdao zählt seit vielen Jahren zu den führen­den Agen­turen für Marken­design und -manage­ment in China. Be­kannt für krea­tive Design­lösungen und hohe Effi­zienz, wurde das Unter­nehmen mit zahl­reichen natio­nalen und inter­natio­nalen Aus­zeich­nungen geehrt – und ist ein fester Be­stand­teil der dyna­mischen chinesi­schen Kreativ­branche.